Behandlungsbedürftige Störungen der Sprechfähigkeit gelten als Sprachbehinderungen. Sie gehen auf eine verzögerte Entwicklung beziehungsweise Sprachausfälle zurück.
Wie alle Fertigkeiten will auch das Sprechen gelernt sein. Es ist uns nicht in die Wiege gelegt. Der Weg vom ersten Schrei und gelallten Laut bis zur flüssigen Rede ist weit, die Anforderungen an den kleinen Menschen sind hoch. Das Sprechenlernen umfasst einen komplexen Prozess, in dessen Verlauf intellektuelle und motorische, also geistige und muskuläre Leistungen erprobt, trainiert und koordiniert, daher aufeinander abgestimmt werden müssen. Diese Entwicklung kann durch äußere wie innere Faktoren gestört beziehungsweise verzögert werden. Probleme mit der Sprach oder Lautbildung, wie Stammeln, Lispeln, Stottern und Poltern sind dann eventuell die Folge.
Gehen Sprechfähigkeit und Sprachverständnis dagegen verloren, nachdem sie schon einmal altersgemäß erworben waren, bezeichnet man dies als Sprachausfall oder Aphasie. Schwerwiegende Hirnverletzungen oder -operationen können die Ursache sein. Um sprechen zu lernen, braucht das Kind den Antrieb – unter anderem in Form des Nachahmungsdrangs – und das Vorbild der Erwachsenen und älteren Kinder beziehungsweise Geschwister, die die Sprache schon als Mittel der Verständigung (Kommunikation) einsetzen.
Die Menschen, in deren unmittelbarer Nähe das Kind aufwächst, also meist die Familie, haben einen sehr starken Einfluss auf die Sprachentwicklung. Sie prägen diese zum einen dadurch, wie sie sich selbst mitteilen, und zum anderen dadurch, wie sie mit dem Kind umgehen – ermutigend oder entmutigend. Von einer verzögerten Sprachentwicklung kann gesprochen werden, wenn ein Kind bis zum dritten oder vierten Lebensjahr gar nicht, äußerst wenig oder schwer verständlich spricht. Wird das rechtzeitig als Problem erkannt, kann die Auffälligkeit in den meisten, üblicherweise unkomplizierten Fällen durch eine sprachtherapeutische Förderung behoben werden. Im Einschulalter sind die Probleme dann in aller Regel behoben und bedürfen im allgemeinen keiner weiteren Behandlung.
Vor einer sprachtherapeutischen Förderung muss allerdings durch die verschiedenen Fachärzte ausgeschlossen werden, dass die Störung im Hörbereich, in einem geistig-seelischen Entwicklungsrückstand oder im organischen Bereich der Sprechwerkzeuge liegt. Zu letzterem zählen der Atemapparat mit Lunge, Luftröhre und Zwerchfell sowie der Stimm- und Artikulationsapparat mit Stimmbändern, Mund- und Nasenhöhle, Lippen, Zunge, Zähnen und Gaumensegel. Motorische (muskuläre) Störungen und Miss- oder Fehlbildungen, die zu Sprachbehinderungen führen, wären anders oder gesondert zu behandeln.
Stammeln
Zu den Folgen einer verzögerten Sprachentwicklung wird das Stammeln (Dyslalie) gezählt. Man versteht darunter einen wiederkehrenden Fehler in der Aussprache. Bestimmte Laute oder Lautverbindungen werden nicht richtig gebildet. Ein Kind sagt zum Beispiel Dopf statt Kopf, Dudi statt Susi (partielle Dyslalie), oder es stellt Laute um beziehungsweise vertauscht sie. Dann heißt es Mokolotive statt Lokomotive. Gelegentlich kommt es auch zur Lauteinschiebung. Der Schwan heißt dann Schawan. Macht ein Kind diese Lautbildungsfehler bis zum Ende des vierten Lebensjahres, werden diese als vorübergehend angesehen (physiologisches Stammeln). Die Sprechwerkzeuge sind einfach noch nicht weit genug ausgebildet, als dass das Kind glatt und fehlerfrei artikulieren könnte. Schlechte sprachliche Vorbilder können das Stammeln allerdings im Laufe der weiteren Entwicklung verfestigen. Äußerst ungünstig ist es, wenn Eltern an der „Babysprache“ festhalten. Auch kann eine ererbte Veranlagung dafür verantwortlich sein. So gibt es Familien, in denen Kinder wie Erwachsene in der gleichen Weise stammeln. Eineiige Zwillinge zeigen gelegentlich die gleichen Lautbildungsfehler.
Das Stammeln kann bei Kindern auch als ein Rückfall in die Kinder- beziehungsweise Babysprache auftreten. Das ist meist nach familiären Konflikten der Fall und wird als psychogenes Stammeln bezeichnet. Die Ursachen sind im psychischen beziehunsgweise seelischen Bereich zu suchen. Ist eine Therapie angezeigt, beginnt sie im allgemeinen ein oder zwei Jahre vor der Einschulung.
Lispeln
Eine Sonderform des Stammelns ist das Lispeln; die fehlerhafte Lautbildung betrifft ausschließlich die Zischlaute s, sch, und z. Die meisten Kinder lispeln in irgendeiner Phase des Sprechenlernens. Ursache ist in der Regel, dass einige Laute schwieriger zu formen sind, als andere – allen voran rund s. Die Zischlaute zählen zu den schwierigsten Lauten der deutschen Sprache. So ist es keine Seltenheit, dass Kinder erst im Alter von fünf Jahren Wörter wie Sonne, Suppe oder Sand korrekt aussprechen können. Folgt dem Anlaut s jedoch kein Vokal, sondern ein Konsonant, haben selbst Fünfjährige noch Schwierigkeiten. Wörter wie Spur, Stand oder Slipper werden mehr oder weniger stark gelispelt. Solche Probleme dürften sich im Laufe des sechsten Lebensjahres von allein geben.
Bei Sechsjährigen, die lispeln beziehungsweise nicht korrekt sprechen, muss dann allerdings von einer Sprachstörung ausgegangen werden. Die Bildung des S-Lauts ist ein komplizierter Vorgang, an dem Zunge, Zähne und die Atmung beteiligt sind. Die Zunge wird dabei so weit angehoben, dass sie zu beiden Seiten die obere Zahnreihe berührt. Dann bildet die Mittelpartie der Zunge einen engen Kanal, und während sich die Zungenspitze hinter den oberen oder unteren Schneidezähnen befindet, strömt die Luft kontrolliert durch diesen Kanal aus. Sie entweicht durch die Zahnzwischenräume der oberen oder unteren Schneidezähne. Einigen Kindern gelingt diese Lautbildung nicht, weil sie ihre Zunge nicht in die richtige Stellung bringen können. Ohne Sprachtherapie blieben sie bis ins Erwachsenenalter hinein Lispler.