Spastische Lähmungen

Die spastische Lähmung ist durch eine Schädigung des zentralen Nervensystems bedingt. Sie kann vielfältige Ursachen haben, geht aber meistens auf Komplikationen während der Schwangerschaft zurück.

Spastische Lähmungen beruhen auf einer Hirnschädigung. Wenn die spastische Lähmung durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt auftritt, wird sie als infantile Zerebralparese bezeichnet. Dieser lateinische Fachbegriff besagt, dass es sich um eine „kindliche Gehirnlähmung“ handelt. Unter diesem Krankheitsbegriff werden Symptome zusammengefasst, deren Leitsymptom die Störung der Muskelfunktion ist. Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass Kinder mit infantiler Zerebralparese auch gleichzeitig immer geistig behindert sind, obwohl es natürlich Fälle mit geistiger Behinderung gibt. Bei der infantilen Zerebralparese werden vier Hauptformen unterschieden: Spastische Lähmung, Athetose, atonisch- astatische Störung und Ataxie. Diese verschiedenen Ausprägungsformen werden durch unterschiedliche Schädigungsorte im Gehirn verursacht.

Krampfartige Lähmungen

Die spastische oder krampfartige Lähmung wird meistens durch Geburtskomplikationen verursacht oder tritt nach der Geburt auf. Bei dieser Lähmungsform ist die Großhirnrinde betroffen, die für Denken, Bewegen und Fühlen verantwortlich ist. Schwerer Sauerstoffmangel während der Geburt kann zu ausgedehnten Zerstörungen führen, und es können sich Höhlen im Gehirn bilden. Diese Substanzverluste führen zur spastischen Lähmung. Sie kann beidseitig und halbseitig auftreten.

Bei der spastischen Halbseitenlähmung sind die Arme stärker betroffen als die Beine. Die betroffenen Kinder weisen eine typische Haltung auf: Das Bein wird leicht gebeugt und nach innen gestellt; der Fuß steht in Spitzenstellung. Außerdem leiden die Kinder oftmals an Sprachentwicklungsstörungen. Die beidseitige spastische Lähmung kann die Beine allein betreffen (Paraplegie) oder sich auf alle vier Gliedmaßen erstrecken (Tetraplegie). Diese Lähmung ist durch eine typische Körperhaltung geprägt. Die Beine werden gestreckt und überkreuzt; die Füße stehen in SpitzfußsteIlung. Beim Gehen werden die Knie mühsam aneinander vorbeigeschoben. Bei Bewegungen ist die Spastik erhöht, während sie in Ruhestellung verschwinden kann. Die Kinder weisen sehr häufig Intelligenzminderung und Störungen in der Sprachentwicklung auf.

Athetose

Die Athetose (griech. ohne feste Stellung) kann durch Sauerstoffmangel während der Geburt ausgelöst werden. Früher wurde die Athetose häufiger durch eine schwere Gelbsucht – auch Kerngelbsucht oder Kernikterus – als Folge einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind verursacht. Bei der Athetose sind tief liegende Gehirnzentren (Stammganglien) geschädigt, die für die Bewegungskoordination verantwortlich sind. Die Athetose ist durch geschraubte und verzerrte Bewegungen geprägt, besonders an den Fingern und im Gesicht. Diese Symptome werden bei Bewegung und Erregung verstärkt. Die entstellte Motorik im Zusammenhang mit Sprachstörungen erweckt vielfach den Eindruck einer geistigen Behinderung. Doch ist die Intelligenz fast immer normal.

Die Symptome beginnen oft schon im ersten Lebensjahr und werden von den Eltern meist nicht erkannt. Sie sind gekennzeichnet durch Muskelschlaffheit oder einen auffälligen Wechsel der Muskelspannung.

Atonisch-astatisches

Syndrom Diese seltene Form der infantilen Zerebralparese wird durch Schädigungen im Groß- und Kleinhirn verursacht. Das Leitsymptom ist die hochgradige Verminderung der Muskelspannung. Die Kinder sind nicht in der Lage, den Kopf zu halten, und können weder sitzen noch stehen. Wenn sie aufgerichtet werden, fallen sie wieder in sich zusammen.

Meistens besteht eine schwere Intelligenzminderung. Ataxie Bei der Ataxie ist das Kleinhirn betroffen, welches das Gleichgewicht, die Körperhaltung und die Koordination steuert. Bei Störungen im Kleinhirn ist die Bewegungskoordination gestört. Der Patient steht und geht unsicher. Beim Sitzen treten Rumpfschwankungen auf. Die Bewegungen können nicht harmonisch ausgeführt werden, und das angestrebte Ziel wird kaum oder nicht erreicht.

Mischformen

Viel häufiger als diese ausgeprägten Formen sind geringe motorische Störungen, die ein Teilsymptom der „leichten zerebralen Dysfunktion“ sind. Die Diagnose beruht auf einer sehr differenzierten Untersuchung, in der die motorischen Fähigkeiten und insbesondere auch die feinmotorischen Fertigkeiten wie Schreiben und Zeichnen untersucht werden.

Ursachen

Die Ursachen sind entweder anlagebedingt, oder die Schädigungen entstehen während der Schwangerschaft, zum Beispiel durch Infektionen mit dem Zytomegalie- Virus, oder vor allem durch die Schwangerschaftsvergiftung (Schwangerschaftstoxikose ). Auch Stoffwechselstörungen während der Schwangerschaft führen zu Schädigungen des Gehirns.

Häufig wird das Kind aber durch die Plazentainsuffizienz gefährdet. Hierbei handelt es sich um ein Nachlassen der Plazentafunktionen durch Abbauerscheinungen in der Plazenta. Die Blutversorgung und somit auch die Sauerstoffversorgung des kindlichen Organismus ist durch diese Insuffizienz vermindert. Bei hohem Sauerstoffmangel ist das kindliche Gehirn in höchster Gefahr. Etwa in der Hälfte der Fälle ist die infantile Zerebralparese durch Sauerstoffmangel während der Geburt verursacht (Anoxie). Zu einem solchen Sauerstoffmangel kann es bei sehr schweren oder langandauernden Wehen kommen, und das empfindliche Gehirngewebe des Kindes wird schnell geschädigt, wenn es nicht ständig mit sauerstoffreichem Blut versorgt wird.

Manchmal führt die Lage des Kindes im Mutterleib zu Schwierigkeiten, und es kommt vor, dass sich die Nabelschnur um den Hals des Kindes wickelt. In seltenen Fällen kann auch eine Verletzung des kindlichen Kopfes während der Entbindung zu einem Hirnschaden führen, doch gilt dies heute als eine immer seltener werdende Ursache der zerebralen Kinderlähmung, wie die kindliche Gehirnlähmung auch genannt wird.

Früher wurde die kindliche Gehirnlähmung, insbesondere die Athetose, nicht selten durch die Kerngelbsucht verursacht. Bei einer sehr hohen Konzentration von Bilirubin im Blut, einem Abbauprodukt der roten Blutkörperchen, wird es in den Stammganglien abgelagert. Diese hohen Bilirubinkonzentrationen entstehen, wenn massenhaft rote Blutkörperchen, zum Beispiel als Folge einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind, abgebaut werden. Durch die routinemäßige Blutgruppenuntersuchung während der Schwangerschaftsvorsorge-Untersuchung kann diese schwerwiegende Komplikation heute vermieden werden. In etwa sechs Prozent der Fälle, die nach der Entbindung eintreten, ist die kindliche Gehirnlähmung vorwiegend auf eine Meningitis oder eine Infektion, z.B. Röteln, zurückzuführen. Da eine Regeneration oder Neubildung von Gehirnzellen unmöglich ist, gibt es bei zerebraler Lähmung keine Heilung. Viele der Frühsymptome lassen sich allerdings lindern. Von entscheidender Bedeutung sind eine möglichst frühe Diagnose, eine geeignete Therapie und die Beratung der Eltern.

Krankengymnastik trägt zur Verminderung der Spannung und zur Entwicklung der Bewegungsfähigkeit spastischer Muskeln bei, und Sprachtherapie ist ein wichtiges Hilfsmittel bei Verständigungsschwierigkeiten. Eltern und Geschwister können viel beisteuern, indem sie zu Hause mit dem Kind spielen oder gymnastische Übungen mit ihm machen. Einige Kinder brauchen Schienen oder andere orthopädische Hilfsmittel, um gehen zu können, und andere können nur mit speziellen Hilfsmitteln essen. Für Behinderte steht heute eine Vielfalt von Hilfsmitteln zur Verfügung. Diese reichen von einfachen Artikeln wie Kleidungsstücken mit Klettverschlüssen anstelle von Knöpfen bis zu hoch entwickelten, von einem Mikrocomputer gesteuerten Geräten.

Normale Schulen

Viele Kinder mit kindlicher Gehirnlähmung können eine normale Schule besuchen, und in schwereren Fällen kommen sie in Schulen, die speziell für Kinder mit Behinderungen eingerichtet sind. In diesen Schulen werden wesentlich weniger Kinder in einer Klasse von einem Lehrer unterrichtet als auf den allgemeinbildenden Schulen.

Medikamente helfen spastisch Gelähmten nur selten, können aber gelegentlich verordnet werden, um die Spannung in den Muskeln zu verringern. In bestimmten Fällen lässt sich die Bewegungsfähigkeit dadurch verbessern, dass die Muskelverkürzung infolge übermäßiger Spannung operativ behoben wird. Aber weder Medikamente noch operative Maßnahmen können die Muskelkraft erhöhen. Die Aussicht darauf, ein möglichst normales Leben führen zu können, ist im allgemeinen gut. Technische Neuentwicklungen haben dazu geführt, dass auch Schwerstbehinderte heutzutage Hoffnung auf ein erfülltes Dasein haben können. Heute ist es möglich, dass Menschen mit zerebraler Kinderlähmung eine normale Ausbildung einschließlich eines Hochschulstudiums absolvieren.

Schwangerenvorsorge-Untersuchungen und ein hoher Stand der Geburtshilfe bewirken, dass immer weniger Kinder an dieser Krankheit leiden. Ein Fortschritt wäre es, wenn alle Mädchen gegen Röteln geimpft werden würden.