Die Nervenzellen, die vom Gehirn kommende Befehle an die Muskeln übermitteln, heißen Motoneuronen, weil sie die Motorik – die Bewegungen – steuern. Hauptsymptom von Erkrankungen des motorischen Systems sind Lähmungen.
Will man zum Beispiel einen Fuß heben, so muss dieser Befehl vom Gehirn aus mit Hilfe von elektrischen Impulsen, die über die Nervenbahnen laufen, an die am Heben des Fußes beteiligten Muskeln geleitet werden. In diesem System der elektrischen Impulsübermittlung unterscheidet man zwei Einheiten. Es gibt eine zentralmotorische, dem zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) zugeordnete Einheit sowie eine periphermotorische, nach außen gewandte Einheit, die dem zentralen Nervensystem angegliedert ist.
Der Bereich des Gehirns, von dem die Befehle zu willkürlichen Bewegungen ausgehen, heißt motorische Hirnrinde. Sie besitzt große motorische Nervenzellen, die Pyramidenzellen. Diese sind in beiden Hirnhälften vorhanden und haben lange Fortsätze, die sich nach unten zur Pyramidenbahn im Rückenmark formieren. In einer bestimmten Hirnregion kreuzt ein großer Teil dieser Nervenzellen auf die gegenüberliegende Seite. So ist es zu erklären, dass Bewegungsimpulse, die von der rechten Gehirnhälfte ausgehen, zu Bewegungen auf der linken Körperseite führen. Die Pyramidenzellen – die dem zentralen Nervensystem zugeordnete Einheit – bezeichnet man als erstes motorisches Neuron.
Zweites motorisches Neuron
Im Rückenmark gehen die Nervenzellen der Pyramidenbahn Verbindungen (Synapsen) mit Nervenzellen ein, die – an verschiedenen Stellen des Rückenmark ausgehend – zu den Muskeln führen. Im motorischen System werden diese Rückenmarkszellen als das zweite motorische Neuron bezeichnet. Es entspricht der periphermotorischen Einheit.
Vielfältige, aber recht selten vorkommende Schädigungen der Motoneuronen können auf jeder Ebene des motorischen Systems zu Störungen und Ausfällen der motorischen Funktion führen. Das Hauptsymptom dieser Erkrankungen sind Lähmungserscheinungen, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Auch können sie von anderen Symptomen, wie zum Beispiel Störungen der Berührungsempfindlichkeit, begleitet werden. Die Diagnose ist unter Umständen sehr schwierig; auch die Behandlungsmöglichkeiten sind oft begrenzt.
Spinale Muskelatrophie
Diese Muskelschwunderkrankung wird durch Untergang der Rückenmarksnerven verursacht. Je nach Verlauf sowie dem Alter, in dem diese schwere Erkrankung auftritt, werden verschiedene Formen unterschieden; einige davon sind erblich. Die Hauptsymptome sind Lähmungen und Untergang von Muskelgewebe. Die Berührungsempfindlichkeit sowie die Blasen- und Darmfunktion bleiben intakt. In den befallenen Muskelregionen treten häufig regellose und blitzartige Zusammenziehungen (Kontraktionen) von einzelnen Muskelbündeln auf (Faszikulationen). Die Erkrankung kann sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen. Sie wird lebensgefährlich, wenn die Nerven der Atemmuskulatur betroffen werden.
Amyotrophische Lateralsklerose
Die Ursache dieser Krankheit ist unklar. In manchen Fällen spielen Vererbungsfaktoren eine Rolle. Es kommt zu einer Degeneration der Pyramidenbahn und der Rückenmarksnerven. Sie befällt vorwiegend Menschen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Die Krankheit beginnt meistens mit Rückbildung der Handmuskulatur. Es können aber auch schon am Anfang ausgeprägte Lähmungen der Beine auftreten. Endzustände zeigen hochgradige Lähmungserscheinungen mit erheblich verstärkter Muskelspannung (Muskeltonus). Man bezeichnet dies als spastische Lähmung.
Neben vielfachen Rückbildungserscheinungen (Atrophie) an der Skelettmuskulatur kommt es aber auch zur Vergrößerung von Muskelbereichen, die dann oft noch recht lange in der Lage sind, Bewegungen auszuführen, bis etwa die Hälfte der Muskelfasern zurückgegangen ist. Dieser Sachverhalt ist der Grund, weshalb erst in einem fortgeschrittenen Stadium die Muskelkraft nachlässt. Auch bei dieser Krankheit kommt es zu ausgeprägten Muskelzuckungen (Faszikulationen).
Im Gegensatz zur multiplen Sklerose, die nicht durch Degeneration von Motoneuronen verursacht wird, sondern durch Untergang der Nervenumhüllungen (Myelinscheiden), treten bei der amyotrophischen Lateralsklerose niemals Störungen der Berührungsempfindlichkeit und der Blasen- und Darmfunktion auf. Auch ist die Denkfähigkeit nicht im mindesten eingeschränkt. So müssen die Kranken mit vollem Bewusstsein und ohne Einschränkung ihres Kritikvermögens ihr Siechtum erleben, das sich meist über mehrere Jahre hinzieht.
Noch keine Therapie
Für Motoneuronen-Erkrankungen gibt es noch keine Therapiekonzepte, die Besserung erhoffen lassen. Die Behandlung beschränkt sich darauf, die Auswirkungen jeder einzelnen Behinderung zu verringern und quälende Symptome, wie zum Beispiel ständigen Speichelfluss, durch Medikamente zu lindern. Wichtig sind konsequent durchgeführte krankengymnastische Übungen und orthopädische Hilfen, wie beispielsweise Schienung der Handgelenke. Hierdurch können zu erwartende Behinderungen zumindest hinausgezögert werden.