Knochenleiden und Chiropraktik

Die auf Handgrifftechniken und Massage beruhende Heilmethode der Chiropraktik war schon im Altertum bekannt. Heute erfährt sie zunehmend Anerkennung als ein in vielen Fällen erfolgreiches Behandlungsverfahren.

Kern der Chiropraktik ist die Behandlung von Knochen, Muskeln, Bändern und Gelenken. Darüber hinaus bemüht sich der Chiropraktiker (auch Chiropraktor genannt), bei seiner Therapie alle Körperteile sowie Faktoren wie den allgemeinen Gesundheitszustand, die Lebensweise und die Umgebung des Patienten mit in Betracht zu ziehen. Der Chiropraktiker versucht, den erkrankten Körper mit den Händen zu heilen (griech. cheira = Hand); sein Ziel ist es dabei, die Funktionsmechanismen des Körpers wiederherzustellen, Schmerzen und sonstige Beschwerden zu lindern und die Beweglichkeit von Gelenken zu verbessern. Massage und Handgrifftechniken gibt es zwar schon seit der Antike, doch die moderne Chiropraktik entstand erst Ende des vorigen Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten. Ihr Begründer, Andrew Taylor Still, war ausgebildeter Arzt, beurteilte aber wie viele seiner Zeitgenossen einen Großteil der damaligen Heilmethoden sehr skeptisch. Er hatte sich schon als Kind brennend für den Aufbau des Körpers interessiert und wählte für sein Heilverfahren den Namen „osteopathy“, was Knochenleiden bedeutet, und betonte, dass „Funktionen von der Struktur bestimmt werden“. Das bezweifelte zwar die damalige Schulmedizin, aber moderne Forschungen haben gezeigt, dass diese Behauptung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.

Die sich selbst regulierenden Vorgänge, die zahlreiche Körperfunktionen im Gleichgewicht halten (Homöostase), hängen über Nervenleitungen eng mit den strukturellen Bestandteilen des Körpers zusammen. Indem der Chiropraktiker sich bemüht, die im gesunden Zustand bestehenden Beziehungen zwischen den Gelenken (insbesondere denen der Rückenwirbel), Muskeln, Bändern und Bindegeweben wiederherzustellen, kann er weitreichende und oft erstaunliche Wirkungen für den ganzen Körper erzielen.

Anwendungsbereiche

Die meisten Menschen, die zu einem Chiropraktiker gehen, tun dies, weil sie irgendwo Schmerzen haben und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, oft am unteren Ende der Wirbelsäule (im „Kreuz“), am Hals oder vielleicht an der Schulter. Diese Probleme können die verschiedensten Ursachen haben, von Unfällen bis hin zu Rheumatismus. Die Tatsache, dass die Hände des Chiropraktikers diese Störungen oft eher und vollständiger zum Verschwinden bringen als Bettruhe und Medikamente, hat dazu geführt, dass die Chiropraktik immer beliebter wurde, sich weiterentwickeln konnte und heute auch schulmedizinisch anerkannt ist.

In der Medizin teilt man die Krankheiten in zwei große Gruppen ein, nämlich in „organische“ und „funktionelle“. Organische Krankheiten sind diejenigen, bei denen es zur Zerstörung oder dauerhaften Veränderung von Körpergewebe oder eines ganzen Systems kommt; Beispiele sind Tuberkulose, Krebs, Leberzirrhose oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Funktionelle Störungen dagegen treten auf, wenn der Körper nicht richtig arbeitet, zum Beispiel wegen einer Infektion, wegen Veränderungen des Blutdrucks oder infolge eines Leidens wie Migräne oder Asthma. Viele als „psychosomatisch“ bezeichnete Krankheiten werden den funktionellen Beschwerden zugeordnet, weil sich keine organische Ursache finden lässt. Diese Störungen werden oft von Angst, Stress und Persönlichkeitsproblemen hervorgerufen; die Folge sind Muskelverspannungen, Kreislaufstörungen oder unzureichende nervliche oder hormonale Versorgung. Die Chiropraktik, die diese Symptome durch Handgrifftechniken behandelt, spielt eine wichtige konstruktive Rolle bei der Heilung dieser Art von Beschwerden, auch wenn sie deren Ursachen nicht beseitigen kann.

Eine chiropraktische Behandlung eignet sich für Menschen aller Altersgruppen. Besonders empfehlenswert ist sie für Heranwachsende, weil spätere Schäden verhütet werden können, wenn Störungen schon in diesem Alter entdeckt und behandelt werden. Zerrungen, Verstauchungen und andere kleinere Verletzungen verursachen im allgemeinen nur eine Zeitlang Schmerzen, ziehen aber häufig Spätfolgen nach sich, die durch Verkürzung von Muskeln und Bändern, durch Fibröse (Bindegewebswucherung) und durch geringfügige Veränderungen der Gelenke verursacht werden. Mangelnde Bewegung, Übergewicht, zunehmendes Alter oder eine spätere Verletzung können diese verschleppten Schäden dann offenbar werden lassen. Chiropraktiker sehen in ihrer Therapie keinen Ersatz für eine medikamentöse Behandlung oder eine Operation bei Krankheiten, bei denen diese Methoden eindeutig überlegen sind. Doch bei der Behandlung von Knochen- und Muskelleiden, funktionellen Beschwerden und chronischen Krankheiten, die sich auf den Körperbau auswirken, bringen chiropraktische Methoden oft eine erstaunliche Besserung, wenn andere Heilverfahren nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben.

Ausbildung

Heilpraktikerschulen bieten die Schulung zum Chiropraktiker als Spezialisierung im Rahmen der Heilpraktiker- Ausbildung an. Merkmal dieser Ausbildung ist einerseits die Entwicklung einer besonderen Feinfühligkeit der Hände – eine wesentliche Voraussetzung für eine richtige Diagnose -, andererseits die Vermittlung von Fertigkeiten und Techniken, die bei der Behandlung des menschlichen Körpers eingesetzt werden. Es gibt auch Ärzte, die mit diesen Techniken arbeiten – meist sind es Orthopäden. Sie tragen in einem solchen Fall die Zusatzbezeichnung „Chirotherapeut“ und nennen das Heilverfahren entsprechend „Chirotherapie“.

Theorie und Praxis

Die verschiedenen Körpersysteme funktionieren aufgrund äußerst komplizierter ineinandergreifender und voneinander abhängiger Prozesse. Zum Beispiel dienen Muskeln und Knochen dem Körper nicht nur als Gerüst und Stütze; die Muskeln ermöglichen nicht nur Bewegungen und mimischen Ausdruck jeglicher Art, sondern beeinflussen darüber hinaus Aufbau und Stellung der Knochen, den Kreislauf und den Hormonhaushalt. Die Chiropraktik befasst sich insbesondere damit, auf welche Weise Störungen und Verletzungen sich auf andere im Körper ablaufende Prozesse auswirken und über all diese Zusammenhänge zu einer Erkrankung beitragen können.

Ein wesentliches Element der chiropraktischen Theorie ist der Begriff der „osteopathischen Läsion“ (Störung des Bewegungsapparats). In der medizinischen Fachsprache ist eine Läsion eine strukturelle oder funktionelle Störung wie eine Wunde, ein Tumor oder eine biochemische Abnormalität. In der Chiropraktik dagegen versteht man unter einer Läsion eine komplexere und subtilere Störung, die die Ursache von Schmerzen oder Beschwerden sein kann und oft vom Patienten nicht bemerkt und auch bei einer normalen ärztlichen Untersuchung nicht entdeckt wird. Die osteopathische Läsion – die durch eine sorgfältige Tastuntersuchung und besondere Tests entdeckt wird – kann eine Muskelverspannung oder eine Bandverkürzung irgendwo im Körper sein; in vielen Fällen ist sie eine Veränderung in der Gelenkbewegung des Rückgrats. Die Wirbel selbst sind passive Bauteile und werden von der Schwerkraft, durch die Tätigkeit von Muskeln und Bändern oder durch gewaltsame Einwirkung von außen geschoben oder gezogen. Die Chiropraktik spürt Störungen durch manuelle Verfahren auf und behebt sie anschließend – oft durch Massage und „Einrenken“ – ,wenn nötig in Verbindung mit anderen Therapien, zum Beispiel einer Umstellung der Lebensweise.

Durch die Beseitigung dieser Störung werden durch Muskelkrämpfe oder Reizung von Nervenwurzeln verursachte Schmerzen gelindert; dadurch wird indirekt eine Normalisierung des Kreislaufs erzielt, begleitet von allgemein positiven Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten. Ein Chiropraktiker muss beurteilen können, ob eine Behandlung aussichtsreich und risikofrei ist, denn es gibt eine Anzahl von Krankheiten und Störungen, bei denen eine chiropraktische Behandlung eher ungünstig oder sogar schädlich wäre. Der Chiropraktik er sollte aufgrund seiner Erfahrung entscheiden, ob ein Bandscheibenvorfall, chronische Arthritis oder ein schwerer Hexenschuss chiropraktisch behandelt werden sollte. Tuberkulose, bösartige Geschwülste, Frakturen, akute Arthritis, verschiedene Knochenleiden und schwere Bandscheibenvorfälle, die neurologische Symptome hervorrufen, sollten unter gar keinen Umständen von ihm behandelt werden. Ein qualifizierter Chiropraktiker ist in der Lage, diese Krankheiten zu diagnostizieren; er wird dem Patienten dann raten, den entsprechenden Facharzt aufzusuchen.