Herzjagen

Als Herzjagen bezeichnet man einen beschleunigten Herzschlag, der durch Anstrengung, Aufregung oder auch nur eine starke Tasse Kaffee ausgelöst werden kann. Schwere Formen von Herzjagen bedürfen medizinischer Hilfe.

Viele Menschen neigen zu Herzjagen (Tachykardie), ohne dass dem ein Krankheitswert beigemessen werden muss. Jugendliche durchlaufen in ihrer Entwicklung häufig eine solche Phase, und nach einiger Zeit verschwindet die Tachykardie ohne jede Behandlung von selbst.

Nervöse oder ängstliche Menschen haben oft den Eindruck heftigen Herzklopfens und machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Nach einer Untersuchung der elektrischen Herzaktionen mit dem Elektrokardiogramm (EKG) lassen sich die Bedenken jedoch meistens ohne weiteres ausräumen. Das Herz des Menschen schlägt durchschnittlich siebzigmal pro Minute. Dieses regelmäßige Zusammenziehen des Herzmuskels wird durch elektrische Impulse hervorgerufen und kontrolliert. Entsprechend der jeweiligen Belastung des Körpers wird der Herzrhythmus verändert. So schlägt das Herz eines entspannten oder gar schlafenden Menschen relativ langsam und verbraucht damit auch weniger Energie. Bei körperlicher Anstrengung arbeitet es schneller, um die Muskeln ausreichend zu durchbluten und mit Sauerstoff zu versorgen.

Herzrhythmus

Bei jungen Menschen beschleunigt sich der Puls bei großer Anstrengung bis auf zweihundert Schläge pro Minute, und bei Kindern kann er sogar noch schneller werden. Kinder haben einen schnelleren Herzschlag als Erwachsene, und bei Säuglingen beträgt die Frequenz schon in entspanntem Zustand über hundert Schläge pro Minute, während das Herz eines ruhenden Erwachsenen etwa 60 mal pro Minute schlägt.

Sportlich trainierte Menschen haben einen relativ langsamen Puls, der auch unter Belastung recht niedrig bleibt. Diese Unterschiede sind unter anderem auf die Größe des Herzens zurückzuführen. Ein kleines Herz muss häufiger schlagen, um den Körper zu versorgen. Ein Sportler trainiert und vergrößert dadurch nicht nur die Muskulatur des Bewegungsapparates, sondern auch sein Herz. Die Spanne der normalen Herzfrequenzen ist also auch bei Erwachsenen recht groß, und man spricht erst von einer Tachykardie, wenn der Puls in entspanntem Zustand über hundert liegt.

Zentrale Steuerung

Wesentlichen Einfluss auf die Herzschlaggeschwindigkeit hat das vegetative Nervensystem. Für ihre Steuerung sind der Sympathicus (Beschleunigung des Herzschlags) und der Parasympathicus (Verlangsamung des Herzschlags) verantwortlich. Weiter wirken Hormone auf die Herzschlagfrequenz ein, wie etwa Adrenalin. Sie werden bei Bedarf ausgeschüttet und erreichen mit dem Blutstrom das Herz. So schnellt der Puls in Stresssituationen in die Höhe, um den Organismus für eine Flucht- oder Aggressionsreaktion „fit zu machen“.

Bei Fieber erhöht sich die Herzschlagfrequenz parallel zur Temperatur, da der Stoffwechsel beschleunigt werden muss. Die elektrischen Impulse, die die Herzaktionen steuern, werden in Zellen hervorgerufen und weitergeleitet, die sich von den normalen Herzmuskelzellen unterscheiden. Der ursprüngliche Impuls entsteht in einem Zellgeflecht, das Sinusknoten genannt wird und sich im oberen Bereich des rechten Herzvorhofes an der Hohlvenenmündung befindet. Zwischen jedem Herzschlag entsteht dort eine Erregung, die in die beiden Vorhöfe weitergeleitet wird und bewirkt, dass diese sich zusammenziehen. Dann gelangt die Erregungswelle zu einem Zellgeflecht am Übergang vom Vorhof zur Kammer, dem AV-Knoten (Atrioventrikularknoten). Hier wird sie für den Bruchteil einer Sekunde verzögert.

Durch das Zusammenziehen der Vorhöfe wird das Blut in die Kammern gepumpt, und dieser Vorgang muss abgeschlossen sein, bevor die Muskulatur der Kammern zum eigentlichen Herzschlag angeregt wird, der das Blut mit Kraft in die Lunge und in den Körper pumpt. Die Erregung der Kammer verläuft vom AV-Knoten aus über ein Leitungssystem (His’sches Bündel), das in der Herzscheidewand liegt und sich immer weiter bis zur Herzspitze verzweigt. Alle Muskelfasern der Kammern werden so in kürzester Zeit von der Erregungswelle erfasst. Damit hat der elektrische Impuls für einen vollständigen Herzschlag also seinen Verlauf vom Sinusknoten über den ganzen Herzmuskel genommen, und er braucht für diesen Weg bei einem normal ruhigen Rhythmus ungefähr eine drittel Sekunde.

Das Phänomen, dass eine Herzmuskelzelle sich auf Grund eines elektrischen Impulses spontan zusammenzieht, wird elektromechanische Kopplung genannt und findet sich bei allen Muskeln.

Extrasystolen

Diese Kopplung ist dafür verantwortlich, dass immer, wenn bei der elektrischen Erregungsbildung und in ihrem Leitungssystem Veränderungen, Beschleunigungen oder Fehler auftreten, sich auch die Muskeltätigkeit verändert. So kann es durchaus passieren, dass von einer anderen Stelle des Leitungssystems – oder von einer Herzmuskelzelle selbst – spontan eine solche Erregung hervorgerufen wird, die sich dann über das ganze Herz fortsetzt und zu einer Extrasystole führt.

Systole ist die Bezeichnung für das Zusammenziehen des Herzmuskels, und dieses verläuft „extra“, weil es außerhalb des Sinusknotenrhythmus zusätzlich dazwischengeschoben ist. Dieser Vorgang ereignet sich auch beim gesunden Herzen immer wieder einmal, und manchmal spürt man diesen Extraschlag sogar als leichtes „Herzstolpern“ in der Brust.

Wenn sich die Extrasystolen aber häufen oder die neue Quelle der Erregungsbildung sogar über längere Zeit und mit hoher Geschwindigkeit in Konkurrenz zum Sinusknoten tritt, kann dies eine Ursache von Herzjagen werden.

Sicherheitseinrichtung

Andererseits ist die grundsätzliche Fähigkeit jeder Zelle der Leitungsbahn zu spontaner elektrischer Impulsgebung als wichtige Sicherheitseinrichtung zu verstehen. Denn wenn die Erregung vom hoch entwickelten und relativ empfindlichen Sinusknoten einmal ausfällt, stellen diese Ersatzrhythmen sicher, dass das Herz trotzdem weiterhin schlägt. Doch es bedarf nur recht geringfügiger Störungen oder Schäden, um dieses Sicherheitssystem außer Kontrolle zu bringen. Es verselbstständigt sich und wird damit seinerseits zur Ursache von Problemen. Selbst wenn die Erregungsbildung im Sinusknoten normal verläuft, ist es möglich, dass die Weiterleitung falsche Wege nimmt und zu Tachykardie führt.

Ein Beispiel dafür ist das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom), eine abnorme Erregungsleitung, die oft nur auf dem EKG als eine leichte Veränderung des Herzschlags zu sehen ist. Verantwortlich für das Syndrom ist ein zusätzlicher leitender Strang, der neben dem AV-Knoten entsteht und Vorhof und Kammer verbindet. Über ihn können die Erregungen, gewissermaßen im Kurzschluss, den AV-Knoten umgehen.

Während der AV-Knoten die Erregungsweiterleitung jedoch ein wenig verzögert, ist dies bei einem Impuls, der den AV-Knoten umgeht, nicht der Fall. Er erreicht daher die Kammermuskulatur vor dem regulären Impuls. In der Regel hat dies zur Folge, dass einige Fasern des Herzmuskels sich früher zusammenziehen, jedoch ohne dass Beschwerden damit verbunden sind – das Phänomen ist lediglich auf dem EKG zu sehen. Es kann allerdings geschehen, dass diese Erregungswelle plötzlich weiter um sich greift und die gesamte Herztätigkeit aus dem Rhythmus bringt.

Tachykardie bei Herzkrankheiten

Über den AV-Knoten gelangt die Erregungswelle sogar zurück zu den Vorhöfen: In all diesen Leitungsbahnen kann der Impuls nämlich ähnlich wie bei einem elektrischen Kabel in beide Richtungen wandern. Im Vorhof angelangt, fließt die Erregung aufs neue über den anomal leitenden Zellstrang zurück zur Herzkammer. Auf diese Weise entstehen sehr schnelle kreisende Erregungen und eine bedrohliche Tachykardie. Dieses Phänomen kann nach einem Infarkt auftreten, wenn die Zellen der regulären Leitungsbahnen abgestorben sind und die Impulse über andere Wege laufen müssen.

Außerdem zeigen geschädigte Herzzellen oftmals spontane Entladungen – zu ohnehin schon gestörten Abläufen kommen weitere Irritationen. Das überwiegend auftretende Symptom bei Tachykardie ist das Gefühl von Herzklopfen, das recht unangenehm sein kann, wenn keine Belastungssituation dafür verantwortlich ist. Probleme entstehen vor allem dann, wenn das Herz so schnell schlägt, dass zwischen den Schlägen nicht genügend Zeit besteht, die Kammern mit Blut zu füllen. Das kann zu einer so schlechten Blutversorgung führen, dass der Patient sich schlapp und elend fühlt und sogar zusammenbricht und das Bewusstsein verliert, weil das Gehirn nicht genug Sauerstoff erhält.

Viele Herzkrankheiten haben zur Folge, dass der Herzmuskel seine Arbeit nicht mehr ausreichend bewältigen kann. Das verursacht wiederum einen Rückstau von Blut vor den geschwächten Kammern und eine Dehnung der Vorhöfe. Die Erregungsbildung wird nachhaltig gestört, und in den Vorhöfen kommt es zu völlig unkoordinierten, elektrischen Aktivitäten. In der Kammermuskulatur führen die Impulse dann zu einem sehr unregelmäßigen, schnellen Herzschlag. Die Vorhöfe können unter diesen Umständen kaum noch arbeiten, die Herzschwäche nimmt zu.

Nach einem Herzinfarkt dagegen werden Teile des Kammergewebes nur sehr schlecht mit Sauerstoff versorgt. Die geschädigten impulserzeugenden Zellen neigen dazu, elektrisch instabil zu werden und Extrasystolen auszulösen, die zu Tachykardie führen können.

Behandlung

Es gibt heute viele Medikamente, die das elektrische Verhalten der Herzzellen beeinflussen und eine Tachykardie mehr oder weniger ausschalten. Unterschiedliche Mittel wirken ganz gezielt auf bestimmte Bezirke des Herzens ein. Für ein Herzjagen, das durch Veränderungen in den Vorhöfen hervorgerufen wird, stehen somit andere Medikamente zur Verfügung als für eine Tachykardie, deren Ursache in einer Störung der Kammerzellen liegt. Manchmal hat eine Tachykardie eine sehr starke Verschlechterung der Herzleistung oder gar ein völliges Herzversagen zur Folge, so dass unmittelbar eingegriffen werden muss, um das Leben des Patienten zu retten.

Mit einem starken Stromstoß durch den Brustkorb wird das Nebeneinander unkoordinierter elektrischer Entladungen praktisch ausgelöscht, die Herzzellen sind wieder gleichgeschaltet, und der normale Ablauf baut sich im günstigen Falle wieder auf.

Es kommt jedoch in seltenen Fällen vor, dass eine Therapie mit Medikamenten nicht ausreicht. So gibt es spezielle Herzschrittmacher, die in Aktion treten, wenn ein Tachykardie-Anfall droht. Durch schnelle Impulse für wenige Sekunden wird eine Gleichschaltung der entgleisten Herzrhythmik erreicht. Manche Formen der Tachykardie sind auch bereits mit guten Erfolgen operativ behandelt worden.