Schmerz

Schmerzreize werden an der Körperoberfläche oder auch an Geweben und Organen im Körperinnern ausgelöst. Das ist oft unangenehm, aber auch ein Alarmsignal, das uns vor weitergehenden Schäden bewahren kann.

Gelegentliche Schmerzreize sind üblicherweise Teil unseres sinnlichen Kontakts mit der Außenwelt. Schmerz signalisiert Gefahr. Er lehrt uns, welche äußeren Einflüsse uns schaden können, und in der Regel weichen wir nach einer schmerzlichen Erfahrung den entsprechenden Einflüssen aus. Schmerzen können aber auch durch eine Fehlfunktion oder eine Erkrankung des Körpers ausgelöst werden, Entzündungen zum Beispiel oder eine Geschwulstbildung.

Schmerzwahrnehmung

An der Empfindung, die wir Schmerz nennen, ist ein großer Teil des Nervensystems beteiligt, von den peripheren (vom Rückenmark bis in die Randbereiche des Körpers führenden) Nerven bis hin zu den höchstentwickelten Zentren der Großhirnrinde. Je nach Schädigung der Gewebe und Weiterleitung beziehungsweise Verschaltung der Schmerzreize im Rückenmark und Gehirn wird uns Schmerzort, -stärke und -art bewusst. Dabei spielt für die Schmerzwahrnehmung auch unsere psychische Reaktion eine Rolle. Diese ist in großem Umfang durch kulturelle und soziale Faktoren mitbestimmt.

Die Fähigkeit zur Schmerzempfindung ist eine Voraussetzung für unser Wohlergehen und Überleben. Das wird uns vor Augen geführt, wenn in bestimmten Situationen der ganze Körper oder einzelne Bereiche schmerzunempfindlich werden. Bei Lepra werden beispielsweise die Nerven der Hände und Füße so geschädigt, dass dort kein Schmerz mehr empfunden wird. Die Folge ist, dass sich die Kranken ständig an Händen und Füßen verletzen. Ganz selten kommt es auch vor, dass jemand ohne die Fähigkeit zur Schmerzempfindung auf die Welt kommt. Diese Menschen sind nicht überlebensfähig. Insbesondere sind sie darin behindert, überhaupt zu erlernen, was alles Gefahrenquellen sind.

So fassen wir normalerweise keine heiße Herdplatte an, weil uns die Situationen, in denen wir es einmal getan haben, beziehunsgweise der Schmerz zu „gebrannten Kindern“ gemacht hat. Schmerzen aus den inneren Organen machen uns auf Erkrankungen aufmerksam. Und Verdauungsbeschwerden nach zu reichlichem Essen veranlassen uns, das nächste Mal etwas zurückhaltender zu sein. Schmerz ist auch ein wesentliches Symptom, das dem Arzt bei der Diagnose hilft. Die Beschreibung von Schmerzort, -stärke und -art versetzt den Arzt in die Lage, die Ursache der Gesundheitsstörung festzustellen und eine entsprechende Behandlung einzuleiten.

Die Schädigung eines Gewebes kann von außen durch mechanische (Stöße), chemische (Säuren, Laugen), thermische (Hitze, Kälte) Beanspruchung oder durch innere Krankheitsprozesse, wie Entzündungen oder Tumorbildung, verursacht werden. Immer aber werden Zellen geschädigt und zerstört. Die dabei freigesetzten Substanzen, zum Beispiel Kalium und Gewebshormone wie Kinine und Prostaglandine, erregen die Schmerzfühler (Schmerzrezeptoren). Diese liegen in der Haut, den Sehnen, den Gelenkkapseln, den Muskelumhüllungen sowie in den Blutgefäßen und den Umhüllungen der inneren Organe. Der durch eine Schädigung ausgelöste Schmerzreiz wird über bestimmte Nerven, die Schmerzfasern, an das zentrale Nervensystem – Rückenmark und Gehirn – weitergeleitet. Bei den Schmerzfasern werden langsam- und schnell leitende Nervenfasern unterschieden.

Die langsam leitenden Nervenfasern zählen zu den marklosen Schmerzfasern, die nur eine sehr schwach ausgebildete Isolierschicht (Myelinscheide) aufweisen. Im Gegensatz dazu haben die schnell leitenden Schmerzfasern ausgeprägte und stark isolierende Markscheiden. Die schnell leitenden Nervenfasern vermitteln mehr den exakt lokalisierbaren (zu ortenden) Oberflächenschmerz, während die langsam leitenden Schmerzfasern eher den länger dauernden Schmerz aus den tiefen Organen weiterleiten.

Reflexe

Durch besondere Verschaltungen ist im Rückenmark über die schnell leitenden Nervenfasern die Möglichkeit zum Reflex gegeben. Diese unwillkürliche und automatische Reaktion befähigt uns, einen gefährdeten Körperteil blitzschnell aus der Gefahrenzone zu ziehen. Wird uns zum Beispiel bewusst, dass wir mit der Hand an das heiße Bügeleisen gekommen sind, haben wir die Hand längst weggezogen. Nach mehrfachen Verbindungen und Verschaltungen im Rückenmark und einer Kreuzung auf die Gegenseite werden die schnell- und langsam leitenden Schmerzfasern dann in einer Schmerzleitungsbahn, dem Tractus spinothalamicus, zum Thalamus (Teil des Zwischenhirns) geleitet. Auf dem Weg zum Thalamus zweigen einige Fasern zu einem Gehirnzentrum ab, das als Formatio reticularis bezeichnet wird. Dieses Zentrum reguliert wesentlich unseren Bewusstseinszustand und Wachheitsgrad.

Die vielfältigen Verbindungen der Formatio reticularis zum vegetativen (unwillkürlichen) Nervensystem führen dazu, dass durch Schmerz reize zum Beispiel die Pupillen erweitert oder dass wir „blass vor Schmerz“ werden. In bestimmten Zentren des Thalamus treten die eintreffenden Schmerzreize mit dem bewussten Schmerzereignis, das durch die Hirnrinde vermittelt wird, in Wechselbeziehung. Im Thalamus erfolgt eine emotionale Bewertung des Schmerzgeschehens, zum Beispiel in dem Sinne: „Das tut furchtbar weh!“ Funktion der Gehirnrinde Vom Thalamus gehen vielfältige Verbindungen zur Gehirnrinde

In bestimmten Regionen des Scheitellappens, in denen wir uns unseres Körpers bewusst werden, wird der Schmerz lokalisiert (geortet): „Meine linke Hand tut weh“. Ebenfalls sind diese Gehirnzentren am Wahrnehmungsprozess des Schmerzreizes als solchem beteiligt. Durch sie wird uns erst bewusst, dass „etwas weh tut“. Diese Vorgänge, die in Bruchteilen einer Sekunde automatisch ablaufen, sind auch mit der willkürlichen Steuerung unserer Bewegungen verknüpft. So lassen wir eine heiße Kanne aus dem Alltagsgeschirr eher fallen als die Kanne eines wertvollen Services. Viele Einzelheiten des Schmerzgeschehens sind jedoch noch ungeklärt.

Schmerzarten Oberflächenschmerz: Diese Schmerzen auf der Haut sind in der Regel klar lokalisierbar und haben einen hellen Charakter, sind etwa stechend oder brennend. Die Empfindung veranlasst uns zur aktiven Abwehr beziehungsweise Fluchtreaktion. Zum Beispiel ziehen wir blitzschnell die Hand von einem heißen Gegenstand weg.

Tiefenschmerz: Dieser Schmerz kann stärker variieren als der Oberflächenschmerz und lässt sich meist nicht genau lokalisieren. Er wird als tief und häufig als dumpf empfunden.

Übertragener Schmerz: Macht ein Organ Beschwerden, wird der Schmerz oft nicht nur im Körperinnern an dem betroffenen Organ empfunden, sondern auch in bestimmten Bereichen der Haut an der Körperoberfläche. Man bezeichnet dies als übertragenen Schmerz. Er wird immer in die Hautzonen weitergeleitet, die von demselben Rückenmarknerv wie das betroffene Organ versorgt werden. Hautgebiete, in die Eingeweideschmerzen übertragen werden, nennt man Headsche Zonen. Die Kenntnis ihrer segmentalen (abschnittweisen) Anordnung ist für Diagnose und Therapie wichtig. Zum Beispiel lassen diffuse (verschwommene) Schmerzen im Schulterbereich auf Erkrankungen der Gallenblase schließen, oder es deuten Schmerzen in einem schmalen Bereich an der Innenseite des Arms möglicherweise auf eine Herzerkrankung hin.

Projizierter Schmerz: Bei dieser Art Schmerz ist der Ort der Schmerzeinwirkung nicht mit dem Ort der Schmerzempfindung identisch. Sind wir zum Beispiel mit dem Ellbogen und seinem an der Oberfläche verlaufendem Nerv (UInarisnerv) an eine Tischkante gestoßen, spüren wir starke Missempfindungen in der Hand und im Unterarm.

Störungen

Gehirnerkrankungen können zu Störungen in der Schmerzverarbeitung führen. Ist zum Beispiel der Thalamus durch Einblutungen infolge eines Schlaganfalls oder eines Tumors angegriffen, kommt es unter Umständen zu äußerst unangenehmen Schmerzempfindungen. Diese lassen den Eindruck einer Überempfindlichkeit des Patienten entstehen. Die Patienten fühlen häufig starke, spontane (ohne erkennbare Ursache) Schmerzen in der dem Thalamus zugeordneten Körperhälfte. Umgekehrt kann es bei Gehirnverletzungen, besonders solchen in der Stirn- und Scheitellappenregion, zu einer Veränderung des Schmerzbewusstseins kommen. Die Bewertung des Schmerzereignisses und die Abwehrreaktion fallen aus, so dass sich diese Patienten selbst verstümmeln.

Da große Teile des Nervensystems an unseren Reaktionen auf Schmerzreize beteiligt sind, ist es nicht verwunderlich, dass die psychische Verfassung eines Menschen eine große Rolle bei seiner Schmerzwahrnehmung spielt. Außerdem ist diese stark von der Situation abhängig, in der der Schmerz auftritt, sowie von den kulturellen und sozialen Bedingungen, unter denen sich unsere Einstellung zum Schmerz entwickelt hat.