Die Pocken galten lange als Geisel der Menschheit. Überlebende waren in vielen Fällen durch entstellende Narben für den Rest des Lebens gezeichnet. Die Pocken waren die verbreitetste und gefährlichste durch Viren übertragene Krankheit.
Viele Menschen haben noch die typischen Narben im Gesicht, die die Pockenbläschen hinterlassen haben. Es gab zwei Virenstämme, die die Pocken auslösten: das Virus Variola major (echte Pocken) und das Virus Variola minor (Alastrim, weiße Pocken). Der Krankheitsverlauf war bei den weißen Pocken in der Regel nicht so schwer wie bei den echten Pocken, wobei sie jedoch auch tödlich verlaufen konnten.
Enorme Gefahr
Ein Grund, weshalb die Pockenviren so gefährlich waren, lag darin, dass sie auch außerhalb des menschlichen Körpers überleben konnten, und das bei Temperaturen zwischen -700 Celsius und +550 Celsius. Auch unter trockenen Bedingungen konnten die Viren gut überleben. Übertragen wurden die Pocken von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion. Das Virus vermehrte sich in bestimmten Bereichen des Nasen-Rachen-Raumes und gelangte über die Atemluft und Speichel nach außen. Dann wurde es von Kontaktpersonen eingeatmet. Bei den Epidemien gab jeder Infizierte die Krankheit somit an mehrere Personen weiter, mit denen er engen Kontakt hatte. Da die Pocken eine Inkubationszeit (Spanne zwischen Ansteckung und Auftreten der ersten Symptome) von etwa zwölf Tagen hatten, verbreitete sich eine Epidemie wellenförmig in einem etwa zwei wöchentlichen Rhythmus.
Symptome
Während der Inkubationsphase vermehrte sich das Virus im lymphatischen Gewebe des Nasen-Rachen-Raumes. Darauf folgte die Prodromalphase (Vorstufe) der Krankheit. Die Viren traten aus dem lymphatischen Gewebe aus und überschwemmten das Blut. In dieser Phase fühlten sich die Betroffenen extrem krank. Sie hatten Fieber und Muskel- sowie Gliederschmerzen. Dazu kam der prodromale Hautausschlag – Flecken, die in schweren Fällen von einer Blutung umgeben waren. Aus diesem roten Ausschlag entwickelten sich erhabene rote Flecken, die sich dann mit Flüssigkeit zu gefüllten Bläschen umformten, den typischen Pocken. Nach drei oder vier Tagen wurden die Pockenbläschen dunkel und zu Pusteln, die schließlich eintrockneten und verkrusteten. Diese verkrusteten Pusteln hinterließen dann die ausgeprägten Pockennarben.
Es gab mehrere Möglichkeiten, die Schwere der Krankheit vorherzusagen. Bei den echten Pocken oder Blattern waren vermehrt um den Ausschlag herum auftretende Blutungen ein Zeichen für einen wahrscheinlich tödlichen Verlauf (über 95 Prozent). Ein sehr tiefer nicht erhabener Ausschlag kündigte einen tödlichen Verlauf mit etwa 80prozentiger Sicherheit an. Bei weniger ausgeprägten Symptomen war die Überlebenschance für nicht geimpfte Menschen etwa drei zu eins. Die Schwere der Krankheit stand im Verhältnis zum Ausmaß des Ausschlags.
Sogar geimpfte Personen konnten die Pocken bekommen. Die Krankheit hatte einen viel milderen Verlauf, aber bei etwa einem Prozent der Erkrankten verlief sie dennoch tödlich.
Variola minor
Wurde die Krankheit durch das Variola minor ausgelöst, so lag die Sterberate durchschnittlich bei einem Prozent. Die Todesursache war bei jeder Art von Pocken ein Angriff der Viren auf das Körpergewebe. Bei den schweren Fällen mit Blutungen um die Flecken herum starben die Betroffenen infolge von Blutungen der inneren Organe innerhalb von 48 Stunden. Typischer war jedoch der etwas langsamere Verlauf der Krankheit, bei dem der Tod der Erkrankten schließlich im Pustelstadium eintrat. Schon vor zweitausend Jahren kannte man in Indien eine Art von Pockenimpfung. Der Durchbruch kam um 1800, als der Arzt Edward Jenner feststellte, dass Personen, die an den für Menschen ungefährlichen Kuhpocken erkrankt waren, eine erstaunliche Widerstandskraft gegen das Pockenvirus aufwiesen.
Kuhpocken werden durch das den Pockenviren sehr ähnliche Virus Vaccinia hervorgerufen. Bei einer Impfung mit diesem Virus entwickelt das Abwehrsystem Antikörper, die im Falle einer Infektion auch das Pockenvirus bekämpfen. Noch Mitte der sechziger Jahre waren die Pocken in rund 50 Ländern nicht ausgerottet, und aufgrund des zunehmenden internationalen Flugverkehrs und Ferntourismus wurde die Krankheit in so gut wie jedes andere Land eingeschleppt. Anfang der siebziger Jahre war die Zahl der Länder mit Pocken auf 20 gesunken. Die letzte größere Epidemie herrschte 1977 in Somalia und Äthiopien am Horn von Afrika.