Noch vor hundert Jahren konnten schwere Angstzustände lediglich mit Opiaten behandelt werden. Neben der Möglichkeit, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, stehen heutzutage zahlreiche spezifisch wirkende Beruhigungsmittel zur Verfügung. Beruhigungsmittel (Sedativa) wirken entspannend und beruhigend und tragen dadurch zum Abbau von Ängsten bei. Noch in den vierziger Jahren gab es nur wenige Medikamente, die eine solche Wirkung hervorriefen; heutzutage ist die Auswahl verwirrend groß. Beruhigungsmittel sind weltweit die am häufigsten verschriebenen Arzneimittel, und es besteht die sehr reale Gefahr des Missbrauchs.
Dennoch darf die Wirksamkeit nicht übersehen werden, die diese Medikamente in der Behandlung von Menschen haben, die an Angstzuständen leiden. Beruhigungsmittel wirken immer auf das Gehirn; deshalb ist es kaum verwunderlich, dass diese Präparate neben der Dämpfung von Angstzuständen auch andere Wirkungen haben. Sedativa können bei entsprechend hoher Dosierung beispielsweise als Schlafmittel eingesetzt werden. Das ist zweckmäßig, wenn Angstzustände von quälender Schlaflosigkeit begleitet sind. Beruhigungsmittel finden ebenfalls in der Behandlung von Epilepsie Verwendung. Unter anderem wird Diazepam, das unter dem Namen Valium im Handel ist, zur unterstützenden Behandlung bei Menschen eingesetzt, die an schweren epileptischen Anfällen leiden. Alkohol und Opiate Opium und Alkohol waren die ersten bedeutenden Beruhigungsmittel. Opiate werden heute wegen des hohen Suchtrisikos nur noch selten verabreicht.
Alkohol wird als Beruhigungsmittel nicht mehr verschrieben, aber Millionen Menschen nehmen alkoholische Getränke zu sich, um nach einem anstrengenden Arbeitstag Entspannung zu finden. Das ist relativ ungefährlich bei psychisch ausgeglichenen Menschen, die nicht an Angstzuständen leiden. Wer jedoch zeitweise von Ängsten geplagt wird, sollte die Droge Alkohol meiden. Das Risiko ist zu groß. Alkohol kann zwar tatsächlich zur Wiederherstellung des Seelenfriedens beitragen; viele Menschen kommen jedoch nur allzu schnell in die Versuchung, sich gewohnheitsmäßig das Leben mit Hilfe von Alkohol leichter zu machen. Das kann binnen kürzester Zeit verheerende Folgen haben. Neben der psychischen kommt es dann auch zur körperlichen Abhängigkeit.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Bromverbindungen, die beruhigend auf das zentrale Nervensystem wirken, in großem Umfang als Sedativa eingesetzt. Sie hatten erhebliche Nebenwirkungen: Wurden sie über einen längeren Zeitraum eingenommen, kam es bei den Betreffenden zu Benommenheit, Störungen der Sinnesempfindungen und Beeinträchtigungen des Sprachvermögens. Bromverbindungen wurden als Beruhigungsmittel von den Barbituraten abgelöst, die sich als sehr wirksam in der Behandlung von Angstzuständen erwiesen. Zudem eigneten sich die Barbiturate auch als Schlafmittel und als Medikamente gegen Epilepsie. Heute werden sie nur noch selten, etwa in der Behandlung von Epilepsie und im Rahmen einer Narkose verabreicht; als Beruhigungs- oder Schlafmittel werden Barbiturate inzwischen nur noch in ganz wenigen Fällen verschrieben, da die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit doch recht groß ist.
Phenotiazine und Tranquilizer
Anfang der fünfziger Jahre kamen die sogenannten Phenotiazine auf den Markt. Diese Mittel werden für die Behandlung von Angstzuständen ernsterer Krankheiten, zum Beispiel von Schizophrenie, eingesetzt. Als nächstes wurde eine Gruppe von Präparaten entwickelt, die als Benzodiazepine (Tranquilizer) bezeichnet werden. Die erste dieser Substanzen, Chlordiazepoxid (Markenname Librium) kam 1947 erstmals zum Einsatz; ihr Wert für die Behandlung von Angstzuständen wurde jedoch erst 1964 erkannt. Seitdem sind Tranquilizer die am häufigsten verschriebenen Beruhigungsmittel. Der bekannteste und am häufigsten verwendete Tranquilizer ist Diazepam (Valium).
Eine weitere bedeutende Gruppe von Beruhigungsmitteln bilden die Antidepressiva, die, wie der Name schon sagt, vor allem bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Zahlreiche Menschen leiden zugleich an Angstzuständen und Depressionen; Antidepressiva erwiesen sich für die Behandlung solcher Beschwerden als sehr wertvoll. Die oftmals hohen Dosierungen, die erforderlich sind, um den Patienten auf den Weg der Besserung zu bringen, machen schläfrig. Das ist jedoch kein so großer Nachteil, wie man vielleicht annimmt, da depressive Menschen oft auch unter quälenden Schlafstörungen leiden.
Eine weitere Gruppe von Präparaten, bei denen die beruhigende Wirkung eher ein Nebeneffekt ist, sind die Beta-Blocker. Diese Substanzen werden vor allem für die Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen verschrieben. Sie werden in großem Umfang zur Behandlung von Bluthochdruck und Angina pectoris eingesetzt. Beta-Blocker erweisen sich auch als wirksam gegen Angstzustände, die von Schweißausbrüchen oder Zittern begleitet sind. Ihre Wirkung beruht darauf, dass sie den Einfluss des autonomen (vegetativen) Nervensystems hemmen, also nicht (wie die anderen Substanzen direkt auf das Gehirn einwirken. Wie wirken Beruhigungsmittel? Alkohol und Barbiturate wirken dämpfend auf die Tätigkeit der Nervenzellen im Gehirn. Alkohol wird zwar als eine stimulierende Droge angesehen, die gute Laune macht und Hemmungen abbaut, doch diese Wirkung kommt dadurch zustande, dass Teile des Gehirns gedämpft werden, die sonst bestimmte Verhaltensweisen hemmen. Beim Genuss sehr großer Mengen Alkohols wird die Gehirnfunktion so stark gehemmt, dass es zur Bewusstlosigkeit kommt.
Der Wirkmechanismus der Benzodiazepine oder Tranquilizer war bis vor kurzem noch weitgehend unbekannt. Ihre beruhigende Wirkung ließ sich leicht demonstrieren. Einer der ersten Patienten, denen Librium verabreicht wurde, rief innerhalb weniger Stunden nach der Einnahme des Präparats den Arzt an, der die Untersuchung leitete, um ihm mitzuteilen, dass zum ersten Mal seit Jahren seine Symptome verschwunden seien. Gründliche vergleichende Studien bestätigten diese Wirkung. Tierversuche haben ebenfalls die Wirksamkeit dieser Mittel unter Beweis gestellt. Benzodiazepine verringern die aggressiven Instinkte bei Tieren. Dieses Phänomen bezeichnen Wissenschaftler als Reduzierung der „normalen Angst“. Gefahr der Abhängigkeit Alkohol, Barbiturate, Morphin und Morphinersatzstoffe gelten in der Medizin bis zu einem gewissen Grad als Beruhigungsmittel und außerdem als stark suchtbildend. Bei Benzodiazepinen ist jedoch Sucht im Sinne körperlicher Abhängigkeit weniger häufig. Diese Präparate führen allerdings leicht zur Entstehung von Gewohnheiten, so dass jemand, der auch nur eine oder zwei Wochen lang eines dieser Mittel eingenommen hat, sich hinterher ohne die Präparate nicht mehr richtig wohl fühlt. Ärzte bezeichnen diesen Zustand als psychische Abhängigkeit oder Gewöhnung (Habituation) im Unterschied zu einer körperlichen Abhängigkeit, wie sie bei Morphinen, Alkohol und Barbituraten eintritt.
Seit 1964 wird der Begriff „Sucht“ im Bereich der Drogen nach einem Beschluss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch den Begriff „Abhängigkeit“ ersetzt. Man versteht darunter einen Zustand von Unbehagen und Beschwerden durch veränderte Körperfunktionen, der bei Entzug einer Droge nach längerer Einnahme hervorgerufen wird. Wenn also ein labiler Mensch viel Alkohol trinkt, um seine Probleme in den Griff zu bekommen, so ist das ein deutlicher Hinweis auf eine mögliche Abhängigkeit. Viele Ärzte weigern sich, einem Drogen- oder Alkoholabhängigen zusätzliche Beruhigungsmittel zu verschreiben. Manche Ärzte sind jedoch der Auffassung, dass Benzodiazepine (Tranquilizer) für den Körper weniger gefährlich sind und gegenüber der Gefahr einer Alkoholabhängigkeit das kleinere Risiko darstellen. Neueren Forschungsergebnissen zufolge häufen sich die Hinweise, dass nach Absetzen des beruhigend wirkenden Präparats Entzugserscheinungen wie Unwohlsein und Schlaflosigkeit auftreten. Wenn Suchtgefahr besteht, werden zur Behandlung von Angstzuständen andere Psychopharmaka verschrieben, sogenannte Psycholeptika. Diese Substanzen, von denen Chlorpromazin am bekanntesten ist, führen nur selten zu Abhängigkeit und sind sehr wirkungsvoll in der Unterdrückung von Angstsymptomen. Der gleichzeitige Genuss von Alkohol ist auf jeden Fall zu vermeiden!
Therapie statt Tabletten
Es ist grundsätzlich besser, nicht nur das Symptom Angst, sondern das der Angst zugrunde liegende tiefere Problem zu behandeln, etwa durch eingehende Beratung, autogenes Training oder Psychotherapie. Der größte Wert der Beruhigungsmittel liegt vielleicht darin, dass sie einem Menschen helfen können, sich so weit zu beruhigen, dass er über seine Situation Klarheit bekommt, und ihm die nötige Zeit verschaffen, seine Probleme – mit entsprechender therapeutischer Hilfe – aufzuarbeiten.
Natürliche Heilmittel
Während einerseits Ärzten vorgeworfen wird, allzu leichtfertig Beruhigungsmittel zu verschreiben, gibt es auch viele Leute, die die vom Arzt verschriebene Medikamentendosis immer weiter überschreiten. Andererseits geben in jüngster Zeit zahlreiche stressgeplagte Menschen vermehrt natürlichen Heilmitteln den Vorzug gegenüber Medikamenten auf chemischer Basis. Wer Kräutertees, Baldrian, Tropfen oder Tabletten mit beruhigend wirkenden Pflanzenextrakten als wirksam empfindet, kann diese Präparate in Absprache mit dem Arzt über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen unbesorgt einnehmen.