Akupunktur und Akupressur

Mehr und mehr Menschen wenden sich heute diesen beiden Behandlungsmethoden zu, und das mit gutem Grund.

Keineswegs Allheilmittel, bieten sie dennoch alternative Möglichkeiten, Schmerzen zu lindern und stressbedingte Beschwerden abzubauen. Akupunktur (acus = Nadel; punctura = Stich) ist eine uralte, seit Jahrtausenden in China praktizierte Heilkunst. Nach Entdeckung der Akupunktur-Anästhesie in den fünfziger Jahren reisten mehrere westliche Ärzteteams nach China, um sich über diese Heilmethode zu informieren, und kehrten sehr beeindruckt zurück.

Das Interesse an der fernöstlichen Heilkunst wuchs zusehends. Mittlerweile werden zahlreiche Akupunkturtechniken auch in der westlichen Medizin angewandt. Bei der Behandlung vieler Beschwerden, bei denen schulmedizinische Therapien kaum Ergebnisse zeigten, wurde Akupunktur mit erstaunlichem Erfolg eingesetzt. Die Tatsache, dass Akupunktur bisher nicht vollständig in die westliche Medizin integriert ist, dürfte in den großen kulturellen Unterschieden zwischen Ost und West begründet sein. Im alten China maß man der vorbeugenden Heilkunst besonderes Gewicht bei – ein relativ neuer Gedanke in der westlichen Medizin.

Chinesische Denkweise

Die Akupunktur wurzelt in der alten chinesischen Dao-Philosophie, nach welcher der Mensch eins ist mit dem Universum und alles Leben von der Lebensenergie Chi durchströmt wird. Außerdem ist das Universum von Gegensätzlichkeiten (heiß/ kalt, Tag/ Nacht, männlich/weiblich) bestimmt – von den Kräften Yin und Yang. Nach dieser Theorie verschmelzen Yin und Yang miteinander; sie ergänzen sich und schaffen damit ein Gleichgewicht.
Ist dieses ausgewogene Verhältnis gestört, fühlt sich der Mensch nicht wohl. Akupunktur stellt das Gleichgewicht wieder her. Zu diesem Zweck werden an den Akupunkturpunkten feinste Nadeln eingestochen. Die Punkte liegen entlang den sogenannten Meridianen, das heißt jenen Bahnen des Körpers, durch die nach chinesischer Überzeugung die Lebensenergie Chi strömt.

Moderne Theorie Experten der westlichen Welt betrachten die Wirkung der Akupunktur mehr vom wissenschaftlichen Standpunkt aus. Ohne die fernöstlichen Theorien gänzlich auszuklammern, gründen sich ihre Erklärungen auf die Kenntnisse vom menschlichen Nervensystem. Aufgabe der Nerven ist es unter anderem, Botschaften in Form von Empfindungen weiterzuleiten. Der Körper signalisiert also über die Nerven seinen Zustand, und „Alarmsignale“ werden an den Nervenenden wahrgenommen. So wird vom Magen ausgehender Schmerz in der Haut des Oberbauchs und dem angrenzenden Teil des Rückens registriert. Die Verbindung zwischen der Schmerzquelle und der Stelle der Schmerzempfindung erklärt sich daraus, dass beide Bereiche durch Nerven miteinander verknüpft sind. Es gibt am Körper längs der sogenannten Meridiane rund tausend Akupunkturpunkte. Die zwölf Hauptmeridiane stehen je mit einem Organ in Beziehung. Die Linien verlaufen entlang der Arme und Beine und enden an den Fingerspitzen beziehungsweise den Zehen. Beispielsweise verläuft der Leber-Meridian vom Zwerchfell über die Innenseite des linken Beines bis zur großen Zehe.

Schmerz-Blockade

Während die alten Chinesen davon ausgingen, die Schmerzlinderung komme dadurch zustande, dass die Yin- und die Yang-Energien wieder in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht würden, legen moderne Untersuchungen mindestens zwei alternative Erklärungen nahe. Die „Gate control“ (Tor-Kontrolle)-Theorie besagt, dass es in den Nervenbahnen Reflexmechanismen gibt, die den Schmerz „ausschließen“ können. Dadurch wird der Schmerz gedämpft, obwohl die Ursache weiter besteht. Akupunktur bewirke das Schließen dieser „Schmerz-Tore“.

Die andere Theorie erklärt den Erfolg der Akupunktur mit der Produktion von bestimmten Hormonen, sogenannten Endorphinen. Diese wirken schmerzstillend, ganz ähnlich wie das Betäubungsmittel Morphium. Es spricht einiges dafür, dass die Akupunktur die Ausschüttung von Endorphinen auslöst und dass diese dann ins Gehirn gelangen, wo sie einen Mechanismus in Gang setzen, der die Schmerzleitungsbahnen blockiert. Diese Theorie erklärt teilweise die schmerzlindernde Wirkung der Akupunktur und ihre Fähigkeit, Entspannung und ein Gefühl des Wohlbefindens zu vermitteln.

Akupunktur kann bei den verschiedensten Beschwerden eingesetzt werden. Dazu zählen Kopf- und rheumatische Schmerzen, aber auch Verdauungsbeschwerden, Asthma, Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Menstruationsbeschwerden und Unfruchtbarkeit. Sie wird auch bei der Geburt, zur örtlichen Betäubung und sogar bei Operationen angewandt. Auf Grund ihrer entspannenden Wirkung ist Akupunktur auch eine geeignete Behandlungs- oder Vorbeugungsmaßnahme für zahlreiche Beschwerden, die durch Stress verursacht werden.

Akupunktur ist kein Allheilmittel. Sie ist nicht geeignet für Menschen, für die eine Infektion mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden ist, etwa schwer Zuckerkranke, Patienten, die Steroide (Hormone) einnehmen müssen, oder Menschen mit Krankheiten wie Hämophilie (Bluterkrankheit). Der Patient wird vom Akupunkteur zunächst über seine Beschwerden befragt. Außerdem will er wissen, ob Ernährung, Stimmung, Gewohnheiten, Jahreszeit und Wetter sich in irgendeiner Weise auf diese Beschwerden auswirken. Daran schließt eine gründliche medizinische Untersuchung an, wobei der Akupunkteur Aufzeichnungen über alle empfindlichen Partien, den Pulsschlag, Anzeichen von Anspannung und Schwankungen der Körpertemperatur anfertigt.

Zusätzliche Informationen werden durch eine Untersuchung von Zunge, Iris und auch der Fußsohlen gewonnen. Auf der Grundlage all der gewonnenen Erkenntnisse kann eine Diagnose erstellt werden, entweder im Hinblick auf Krankheiten oder die klassischen Begriffe des Yin- und Yang-Gleichgewichts. Die eigentliche Behandlung besteht dann im Setzen der Akupunkturnadeln; dazu gehören aber auch Massage oder Wärmebehandlungen bestimmter Körperpartien.

Die Wärmebehandlung wird als Moxibustion bezeichnet. Dabei werden zusammengerollte Kegel des Moxakrautes auf die entsprechenden Meridianpunkte gelegt und angezündet. Das langsame Verbrennen des Krautes erzeugt eine wohltuende Wärme; der Akupunkteur entfernt die Kegel, bevor die Haut versengt wird. Wärmebehandlung kann auch durch elektronische Geräte erfolgen.

Wahl der Meridianpunkte

Die Wahl der Meridianpunkte hängt vom Gesundheitszustand des Patienten ab; sie ist von Person zu Person und von Tag zu Tag unterschiedlich. Auch die Anzahl der Nadeln ist verschieden. Der Erfolg einer Behandlung hängt unter anderem auch von den Ernährungsgewohnheiten und der sonstigen Lebensführung des Patienten ab. Ein Risiko ergibt sich daraus, dass Akupunktur eine ernste Erkrankung verdecken kann, indem sie lediglich die Symptome beseitigt. Deshalb ist eine gründliche Untersuchung und Diagnosestellung außerordentlich wichtig. Zahlreiche Patienten sind nach einer Akupunktur-Behandlung so entspannt, dass sie vorübergehend die Koordinationsfähigkeit verlieren. Aus diesem Grunde sollten Alkohol und Beruhigungsmittel nicht mit Akupunktur kombiniert werden. Vor allem nach der ersten Sitzung sollte der Patient nicht selbst Auto fahren.